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Wildwasser im Packraft


Update 2019
: Der Artikel ist auch zum Download im DKV Verlag erschienen.

Packrafting spricht überwiegend Paddelneulinge an. 80% der Nutzer kommen nicht vom Wassersport. Für sie ist es eine Erweiterung ihres Aktionsradius. Dennoch erobern Packrafts nun endgültig obere Schwierigkeitsgrade. Die neueren Entwicklungen (Form und Ausstattung) machen sie mehr und mehr zu aufblasbaren Kajaks. 

Während Pioniere die technischen Grenzen austesten, steht für viele die Frage, wie sie sich an ihre persönlichen Grenzen herantasten. Dieser Artikel soll ein paar Grundlagen im Wildwasserfahren liefern. Trotz der Eigenheiten in der Art mit einem „Miniaturraft“ zu paddeln, Wildwasser für Packrafts’ hat viel mit allgemeinen Charakteristiken im Wildwasser zu tun:

  1. Strömungslehre (Wasser lesen)
  2. Bootscharakteristiken (das Boot kennen)
  3. Fahrtechnik (Schlagarten und Manöver anwenden)
1. Strömungslehre: Die Strömung formt den Fluss und der Fluss formt die Strömung

Kehrwasser nach Kurven

Letztlich ist dies immer eine Variation desselben Themas: Strömung erzeugt Gegenströmung. Die Mischung aus Wassermenge, Gefälle und Hindernissen bildet den Chararkter des Flusses. 
Nur wenn alle drei Aspekte zusammen kommen, spricht man von Wildwasser. Klingt seltsam? Ganz einfacher Check: Was passiert, wenn man ein Element auslässt:
  • große Wassermenge mit Hindernissen, aber ohne Gefälle: ein steiniger Bergsee 
  • Wasser mit Gefälle, aber ohne Hindernisse: die einfache Wasserrutsche
  • Gefälle mit Hindernissen, aber kaum Wasser: das (trockene) Flussbett
Wildwasser ist immer eine Mischung in unterschiedlichen Anteilen davon. Sinn des Gedankenspiels ist es einzuschätzen, wo die Schwierigkeiten eines Abschnittes liegen. Das ist of sinnvoller als die internationale Klassifikation der Wildwasserschwierigkeit angibt. Die Stufen I-VI differenzieren darin nämlich nicht. Der Charakter hat jedoch entscheidenden Einfluss in den Auswirkungen auf das Wassersportgerät:
  • Verblockung
  • Wasserwucht
  • Geschwindigkeit

Der Abfall erzeugt einen Walze

Wie oben angedeutet, geht es immer um dasselbe Thema: Hindernisse in der Strömung erzeugen Gegenströmung.

Gegenströmung und Wellen nach Flussverengung



Das Hindernis erzeugt eine Walze

Eine Flussverengung oder ein unter Wasser liegender Stein staut Wasser an und gibt es wieder frei. Das Ergebnis in unterschiedlicher Ausprägung ist: 
  • eine Welle: es geht gegen die Strömung bergab
  • eine Walze: eine brechende Welle bzw. ein rotierender Wirbel entgegen der Hauptströmung
  • ein Kehrwasser: der Strömungsschatten bzw. Gegenströmung nach einem Hindernis
  • Prallwasser: Sonderform an Prallwänden ggf. mit Unterspülung
Kehrwasser nach einem Steinhinderniss

Das Ergebnis kann Spaß (Welle), Haltepunkt (Kehrwasser) oder Gefahr (Walze, Prallwasser) sein. Die Kunst ist nun diese Formen zu erkennen und einzuschätzen. Dabei sind es die Feinheiten (z.B. die Verschneidungszone zwischen Kehrwasser und Hauptströmung) auf die es ankommt. Generell ist der Wechsel von Haupt- und Gegenstrom die Essenz im Wildwasser. Hindernis und Nutzen zugleich. Es ermöglicht das kontrollierte Befahren und Besichtigen (v.a. durch Kehrwässer) bzw. diese gilt es zu überwinden (v.a in Form von Walzen). Nebenbei ist es Herausforderung und Fahrspaß (z.B. in Form von Surfen).

Strömungsbild in Kurven

Eine Besonderheit stellen Kurven, als Hindernisse die das Flussbett bíetet, dar. Zieht die Hauptströmung in eine Prallwand? Wohin versetzt mich die Seitenströmung? Auch hier kommt es auf die Feinheiten an. Wie stark ist der Strömungsdruck und Geschwindigkeit?

==> Kleiner Vorgriff: Kurven müssen aufgrund des Driftens von Packrafts (flacher Boden) deutlich übersteuert gefahren werde. 

Das Verhalten der Wasseroberfläche einer Schnelle dokumentiert, was unter der Oberfläche passiert. Die Sichtbarkeit von Hindernissen unter Wasser ist dabei verzögert. Verwirbellungen (Spitze stromauf) zeigen das Hindernis an. Die Stärke der Verwirbelung gibt die Tiefe des Hindernisses an. Stromzungen (glattes und dunkles Wasser. Spitze stromauf) zeigen die Fahrrinne an.

Je tiefer das Hindernis, desto später die Auswirkung

2. Bootscharakteristiken: die Eigenheiten von Packrafts

Auch innerhalb der Gattung Packraft gibt es große Unterschiede. Dennoch gibt es einige allgemeine  Besonderheiten, welche großen Einfluss auf die Manöver haben:
  • hohes Volumen
  • keine Kanten
  • flexibler Rahmen
  • hohe Anfangsstabilität
  • relativ kurze Baulänge

Das hohe Volumen sorgt für starken Auftrieb. Man paddelt mehr auf dem Wasser als im Wasser. Wellen, Verschneidungen werden daher „überfahren“ und bieten weniger (passiven) Angriff.  Einen ähnlichen Einfluss haben die fehlenden Kanten. Strömungen können so weniger (aktiv) „gegriffen“ werden und die Aktionen sind damit nicht ganz so präzise. 

Bug stromauf, Blick stromab, so bleibt man flexibel

Eine hohe Anfangsstabilität (geringe „Kippeligkeit“) ist insbesondere für Paddeleinsteiger eine große Hilfe. Letztlich geht sie aber immer mit einer geringeren Endstabilität einher. Ist der (hohe) Kenterpunkt überschritten, gibt es kaum ein Halten. Dennoch, das geringe Gewicht und die runde Angriffsfläche lassen auch hier Gegenmaßnahmen zu. Packrafts lassen sich dadurch auch rollen, wenn auch mit mehr Übung (Schenkelgurte vorausgesetzt). 

==> Packrafts sind allgemein verzeihend bzgl. Fahrfehler, da sie ausgleichen bzw. kompensieren und sehr kentersicher sind.

Die letzte Eigenschaft bezieht sich auf die Bootslänge. „Länge läuft“ ist eine alte Bootsbauerweisheit. Auch hier hat sich viel getan. Packrafts sind mittlerweile alle über zwei m lang mit positiven Auswirkungen auf die sog. Rumpfgeschwindigkeit, welche besagt, dass ein Boot nie schneller wird, als seine selbst erzeugte Welle. Und kurze Welle heißt beschränkte Geschwindigkeit. Gerade bei Wildwasserfahren sind Manöver relativ zur Strömung (sog. Seilfähre) gefragt. 

==> Packrafts haben aufgrund der Baulänge ihre Grenzen bei sehr hohen Strömungsgeschwindigkeiten

3. Fahrtechnik: Schlagarten und Manöver anwenden

Von den üblichen Schlagtechniken  
  • Grundschlag
  • Bogenschlag 
  • Ziehschlag 
  • Rückwärtsschläge
also dem Paddeln im engeren Sinn, sind im Packraft vor allem die letzten beiden von erhöhter Bedeutung. Warum? Während der Grundschlag dem (möglichst kursneutralen) Vorwärtstrieb und der Bogenschlag dem aktiven Drehen des Bootes dient, sind der Ziehschlag und Rückwärtsschlag vortriebsneutral oder sogar negativ. Fehlende Kanten am Boot kann nur das Paddel selbst ausgleichen. Drehfreudig ist das Boot ohnehin (kaum Bedarf an betontem Bogenschlag). Der Grundschlag ist oft nicht ausreichend (geringere Endgeschwindigkeit) um Hindernissen auszuweichen. Also kommt der Ziehschlag zum Einsatz, um das Boot zu versetzen und Kehrwasser zu greifen. Rückwärtsschläge kompensieren dagegen die Zeit zum Ausweichen von Hindernissen. Der Ziehschlag und das Rückwärtspaddeln ist jedoch nicht intuitiv und muss gelernt (und geübt) werden. 

Statischer, neutraler Ziehschlag

Die wichtigsten allgemeinen Manöver im Wildwasserfahren sind:
  • das Ein- und Ausschlingen (ins Kehrwasser)
  • die Seilfähre (Fluss ohne Höhenverlußt queren)
  • das Aufkanten  (an Strömungsunterschieden)
Einfahrt ins Kehrwasser

Auch hier würde die vollständige Abhandlung den Umfang des  einführenden Artikels sprengen. Deshalb der Verweis auf weiterführende Beiträge unten.

Geradeauslauf und Geschwindigkeit ist nicht die Stärke ds Bootstyps. Drehfreudigkeit und Beschleunigung sind jedoch gut. Ein paar Zentimeter vor der Walze das Boot auszurichten und zu versetzen, ist kein Problem. Die geringe Masse (Trägheit) und niedrige geringe Angriffsfläche (kaum Tiefgang) setzt hier wenig Widerstand. Da es so leicht ist, die Richtung zu ändern, kommen Seilfähren, Pirouetten und Ausweichführungen überdurchschnittlich oft zum Einsatz. Aber schon verhältnismäßig moderate Kurven bedürfen auch einer deutlichen Übersteuerung.


Kehrwässer müssen noch aktiver angefahren und gegriffen werden, denn die fehlende Kanten am Boot kann nur das Paddel selbst ersetzen. Das kann sich im Extremfall so anfühlen, also ob man sich aus dem fahrenden Bus an der Stange des Halteschildes (dem Paddel) aus dem Bus (der Hauptströmung) in die Haltestelle (das Kehrwasser) schwingt.

Durch das hohe Volumen im Bug neigt das Boot in Wellenzügen natürlich zum „Tanzen“. Hier ruhig mal den Rückwärtsgang einlegen. Ein paar Schläge zurück und man kommt ruhiger und trockner durch die Wellen – die Open Canoe Fahrer wissen was gemeint ist.

Und noch eine Eigenschaft direkt an der Wurzel gepackt: die relativ kurze Baulänge und die Sitzposition setzen an Rückläufen einerseits Grenzen. Andererseits sorgt das hohe Volumen dafür, dass es dort nicht zwingend abtaucht und im Sog abgebremst wird, sondern aufgleitet. Eben ganz genau wie ein Luftkissenboot. Mit etwas Anfahrt und gezieltem Vorgreifen kommt man so über Rücklaufzonen, in denen mancher Kajakfahrer zu kämpfen hat. Natürlich hat diese Technik in starkem Wuchtwasser mit sehr großen Walzen seine Grenzen. Einmal abgetaucht kann ein Packraft, anders als schlankere Kajaks, dort eher hängen bleiben. Aber diese Bereiche gehören eher in die Extremszenarien. 


Weiterführende Posts:


Quellen

[1] Grafiken in Anlehnung an Kanuwandern in Nordfinnland, Helenius, Martii 1988, Nordis Verlag
[2] Kehrwasserfahren, Kellner, Jan, Kanumagazin 3/96
[3] Zug um Zug zum Ziehschlag, Kellner, Jan, Kanumagazin 4/96
[4] Lustige Kajakschule: Illustrierte Tipps und Tricks fir Wildwasserfahren, Nealy William
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